14 Feb Urban Nation: Wie urban ist die Nation oder was ist ein Museum?
Urban Nation in Berlin versteht sich als Museum für zeitgenössische Straßenkunst und ist für jedermann zugänglich, die Besichtigung ist kostenlos. Doch Urban Nation ist mehr als das: Es sieht sich auch als Beschützer der Künstler vor Investoren und großen Galerien und als Vermittler zwischen Kunst und Interessierten. In einem Interview mit Direktorin Yasha Young erfahren wir mehr über die Digitalisierung der Kunstwelt, über schwindende Besucher konventioneller Museen, über den Abbau von Hemmschwellen, über neue Konzepte und über die jahrelange Vorbereitung des Museums bis hin zur Eröffnung.
Rom wurde auch nicht an einem Tag gebaut…
„Eigentlich ist hier alles Kunst“, denke ich, als ich gemeinsam mit Yasha Young vor der Bülowstrasse 7 in Berlin-Schöneberg stehe: das Haus, die Fassade, die Architektur, die Räume, die Toiletten und vielleicht auch die Direktorin selbst. Die Rede ist vom Urban Nation, einem Museum für Streetart, und seiner Kuratorin Yasha Young. In einem Interview erfahre ich mehr über die Entstehung des außergewöhnlichen Museums. Der eigentlichen Eröffnung im September 2017 gingen zahlreiche Projekte voraus. Angefangen von der Zusammenarbeit mit Gefängnisinsassen in Litauen 2013 über dem Kinderprojekt „Kiezkids“ bis hin zum Projekt M4, eines der zahlreichen Onewall-Projekte. „Jeden Monat haben wir ein Riesenprojekt gemacht. Entweder ein Onewall, ein Community oder Spezial Projekt“, erklärt Young. Aus über 300 Projekte mit über 350 Künstlern hat die Direktorin dann gemeinsam mit zehn Kuratoren 2017 die Eröffnungsshow zusammengestellt. „Die Kuratoren waren bunt gemischt, Kunstsammler, Galeristen, Blogger und Künstler aus London, Brasilien, England, Los Angeles und Deutschland. Wir haben nicht immer alle gleich gedacht, aber die Synergieeffekte waren super. Wir haben alle voneinander gelernt und hatten ein Ziel: Eine Eröffnungsshow zu gestalten, die geschichtlich relevant und sozial durchdacht war.“
Warum muss man Kunst studiert haben, um sie zu verstehen?
Die Idee zu diesem Projekt kam Yasha Young aber schon viel früher, während sie noch ihre Galerien in New York, London und Berlin betrieb. „Ich habe gemerkt, wie schlimm das ist, wenn man zwar gut verkauft, aber von den Galeristen nicht beachtet wird. Ich habe mich auch gefragt, warum nehmen die großen Galeristen den kleinen Galerien ihre mit Mühe gerade hochgepuschten Künstler weg? (Anmerkung der Redaktion: siehe auch Artikel Produzentengalerie) Warum ist die akademische Ausbildung wichtiger als das, was man fühlt, macht, tut, erlebt und nach vorne bringt?“ Gerade letzteres hat Young durch Ihre Karriere widerlegt: Von 2008 bis 2011 war Young Mitglied des Auswahlkomitees der ART.FAIR21, einer internationalen Messe für Gegenwartskunst in Köln, sie arbeitete sie als leitende Kreativdirektorin der internationalen Kunstmesse BLOOM für Neue Medien und Design und wurde 2016 in das Kompetenzzentrum Kultur- und Kreativwirtschaft des Bundes berufen – um nur einige Meilensteine zu nennen. Dabei hat Yasha Young nicht Kunst studiert, auch nicht Kunstgeschichte oder Design. „Ich hatte einfach nur mein Interesse für Kunst und bin aktiv auf die Künstler zugegangen. Ich habe mich gefragt, was ist das, wo kommt das her, wie macht man das, warum ist das schwierig zu verkaufen? Was sind die Probleme und warum funktioniert das nicht in der traditionellen Kunstwelt? Warum sehen die das nicht als Kunst?“
Yasha Young: Ein „active facilitator“
„Dabei ist mein Ansatz immer der gleiche: Ich versuche die Künstler zu verstehen, was sie brauchen, um besser zu werden und besorge es! Es ist einfach eine andere Sichtweise, man geht ganz anders ran!“ Yasha Young nennt sich selbst ein „active faciliator“ – einer, der von A bis Z dranbleibt, und auch mal bei P nachhakt und Qualitätskontrollen macht. Diesen Ansatz hat die ehemalige Direktorin auch für das Urban Nation angewendet. Sie setzt sich mit allem und allen auseinander. „Jeden Mitarbeiter motiviere ich für ein Non-Profit-Projekt zu arbeiten, das die Hälfte der Welt nicht versteht, das überall aneckt und das sich gegen die Kommerzialisierung wehrt!“ Das ist Knochenarbeit und das seit 2013, denn nach der Idee kam die Umsetzung. Ein geeignetes Gebäude musste gefunden werden, es musste renoviert und ausgebaut werden. Gespräche mit Architekten, Bauarbeitern, der Institutionen, den Behörden folgten. Und dann war da noch die Öffentlichkeit und natürlich die Künstler. „Das Konzept bringt nichts, wenn der Künstler und die Öffentlichkeit nicht mitspielen“, erklärt Young und so begann sie, die Künstler für Urban Nation zu interessieren, ihnen das Konzept und die Mission zu erklären.
Ein agiles Konzept für ein innovatives Museum
„Wir sind ein Museum, das konstant über Dinge berichtet, die hier und jetzt passieren“, erklärt Young. Im Gegensatz zu einem klassischen Museum, in dem die ausgestellten Künstler meistens schon verstorben sind, setzt sich das Urban Nation mit dem Künstler auseinander. „Wir tragen die komplette Verantwortung! Wir müssen sicherstellen, das der Content stimmt und das man erklären kann, warum, wo, was hängt“ In der Eröffnungsshow waren 300 Künstler vertreten, Young setzte sich mit jedem einzelnen auseinander. „Der Künstler muss sich daran gewöhnen und verstehen, was es heißt, in einem Museum vertreten zu sein. Es sind andere Ansprüche, wir haben einen Lehrauftrag für die Gesellschaft und die Szene. Oberste Priorität ist hierbei, dass wir lernen während wir lehren – nicht durch learning by doing, sondern ganz agil, flexibel, wachsen. Die Szene verändert sich, auch durch die Digitalisierung so schnell, dass wir agil bleiben müssen. Und das ist auch der Vorteil von Urban Nation, es ist zwar immer noch ein bürokratischer Kampf, aber wir können schneller agieren.“
Kunst im Wandel
Schneller agieren, die gegenwärtige Kunst auf der Straße abholen und der Bevölkerung zugänglich machen – das ist der Erfolg von Urban Nation. Das Publikum ist bunt gemischt, vom Schüler bis hin zum Rentner, alle sind willkommen, auch nicht Kunst-affine – ohne jegliche Wertung der Person. „Ich habe erlebt, wie man als junger Mensch angeschaut wirst, wenn man ins Museum oder in die Oper ging. Durch das Aussehen und den sozialen Status wurde mir oft der Zugang zur Kunst verwehrt oder erschwert, da angenommen wurde, ich verstehe Kunst doch sowieso nicht!“ Seit den 80er Jahren hat sich scheinbar nicht viel getan. „Viele der Museen wollen eigentlich gar nicht, dass sich etwas verändert, aber wir brauchen neue Rahmenbedingungen, keine festgefahrenen Institutionen. Die alten Institutionen werden und müssen darüber nachdenken, wie sie sich in die neue Bewegung der Digitalisierung, in das 21. Jahrhundert einfügen. Es muss einen Denkwechsel geben, da auch die Besucherzahlen schwinden. Sie müssen überlegen, wie sie neues Publikum anziehen!“ Ihr Wissen über den Erfolg des Publikumsmagneten Urban Nation gibt Young gerne weiter und arbeitet mit dem Stadtmuseum Berlin und dem Humboldt-Forum zusammen. „Die Annäherung zu neuen Denkweisen ist es, was uns nach vorne bringt. Ich bin der festen Überzeugung, weder wir alleine noch die alleine kommen irgendwo hin. Die alte Generation braucht die neue, die neue die alte. Das wird immer so sein.“ Ihre innovativen Ideen und Konzepte begeistern nicht nur die Öffentlichkeit und die Künstler, auch die Presse hat sich bisher positiv geäußert. Bleibt abzuwarten, wie die traditionelle Kunstszene reagiert und die noch offene Frage: Wird Urban Nation im September 2019 offiziell bei der Berlin Art Week dabei sein?
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